Joseph Carlebach Institut
Startseite
ICS Site Building
Suche  Erweiterte Suche
Startseite   Judentum Artikel zu jüdischen Themen Greise und Weise
Judentum

Greise und Weise


Es sticht klar hervor, dass das Judentum im Gegensatz zu anderen Kulturen, welche die Alten der Gesellschaft als Bürde auffass(t)en, eine Beziehung höchsten Respekts und aktiver Ehrerweisung gegenüber den alten Menschen der Gesellschaft aufweist. Als direktester Ausdruck dazu steht der Vers im 3. Buch Mose: "Vor einem grauen Haupte stehe auf und ehre den Greis und fürchte dich vor deinem Gott, Ich bin der Ewige" (19:32). Unter den klassischen Bibelkommentatoren besteht zu diesem Vers eine interessante Meinungsveschiedenheit. Raschi meint, die Ehrerweisungspflicht bestehe lediglich bei einem Greisen, der auch gerecht bzw. weise sei, gegenüber einem sündhaften Greisen jedoch nicht. Nachmanides jedoch ist der Meinung (basierend auf dem babylonischen Talmud, Traktat Kidduschin 32b), jeglichem greisen Menschen, auch einem sündhaften und törichten, stünde das Recht der Ehre seitens der Bevölkerung zu.
Ausserdem gibt die erwähnte Talmudstelle praktische Anweisungen, wie man einem Greisen Ehre erbieten soll: "Man soll nicht auf seinem Platz sitzen und ihm nicht in das Wort fallen." Diese Richtlinien haben halachische, d.h. religionsgesetzliche Bedeutung!
In der Bibel hat es einen weiteren Vers: "Die Zierde der Jünglinge ist ihre Kraft, und der Schmuck der Alten ist das greise Haupt" (Sprüche 20:29). Dieser Vers kann in seiner Bedeutung in Parallelform verstanden werden: Die physische Kraft der Jugendlichen steht der intellektuellen Kraft der Greisen und Weisen gegenüber. In geistigen Angelegenheiten soll man sich demnach auf den Rat der älteren Menschen stützen.
Auch in der mündlichen Lehre hat es bedeutsame Quellen zu diesem Thema: In der Mischna im Traktat Awot (Sprüche der Väter) steht folgendes: "Rabbi Jose ben Jehuda aus Kefar Bawli sagte: 'Lernt man von Kindern, so ist es, als ässe man unreife Trauben oder tränke man Wein aus der Kelter; lernt man aber von den Greisen, so ist es, als ässe man reife Trauben oder tränke man alten Wein'" (4:26). Hier kommt die klare Bevorzugung des Alters mit seiner Weisheit gegenüber der Unerfahrenheit der Jugend zum Ausdruck.
Im babylonischen Talmud im Traktat Nedarim 40b kommt erneut das Vertrauen auf die Meinung der älteren Menschen im Gegensatz zu jener der jungen zum Ausdruck: "Es wird gelehrt: Rabbi Schimon ben Elazar sagte: 'Wenn Junge dir sagen "baue!" und Greise dir sagen "reisse ab!" so höre auf die Greise und nicht auf die Jungen, denn das Bauen der Jungen ist ein Niederreissen und das Niederreissen der Greise ist ein Bauen. Als Merkzeichen diene dir Rechavam, der Sohn Salomos'" (siehe dazu 1 Könige Kap. 12). Gerade weil die Greise eine reiche Lebenserfahrung besitzen, sind sie im Gegensatz zu den Jugendlichen imstande, zu begreifen, dass ein kurzfristiges Abreissen in ein langfristiges Aufbauen münden kann.
Fäkultat für Jüdische Studien הפקולטה למדעי היהדות Bar Ilan Universität, Ramat Gan, Israel אוניברסיטת בר אילן