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Judentum

Zom 9. Av


Fasttag 9. Av ("Zom Tisch'a b'Av")

"Und im fünften Monat am siebten des Monats, das ist im neunzehnten Jahre des Königs Nebukadnezar, Königs von Babel, kam Nebusaradan, der Oberste der Leibwächter, ein Knecht des Königs von Babel, nach Jerusalem, und verbrannte das Haus des Ewigen, das Haus des Königs und alle Häuser in Jerusalem, und alle Häuser der Grossen verbrannte er im Feuer. Und die Mauer Jerusalems ringsum brach das Heer der Kasdim ab, das der Oberste der Leibwächter (hatte). Und den Rest des Volkes, das übriggeblieben war in der Stadt, und die Überläufer, die übergelaufen waren zu dem Könige von Babel, und den Rest der Menge führte Nebusaradan, der Oberste der Leibwächter, hinweg. Und von den Ärmsten des Landes liess der Oberste der Leibwächter zurück bei den Winzern und Ackerleuten…So wanderte Jehuda in das Exil von seinem Boden hinweg" (2 Könige 25, 8-24).

[Im Parallelbericht (Jeremias 52, 12) ist als Tag der Tempelzerstörung der zehnte des Monats angegeben. Dieser Widerspruch der Daten wird im Talmud ausführlich behandelt. Schliesslich erklären die Weisen, dass die feindlichen Eroberer am siebten Av in den Tempel eindrangen, am achten Av dort assen und Verderben anrichteten und schliesslich am neunten Av gegen Abend das Heiligtum in Brand setzten, worauf es den ganzen folgenden Tag hindurch weiterbrannte. Auf die Frage hin, weshalb nun der Fasttag doch auf den neunten Av festgelegt wurde, obwohl der Tempel grösstenteils am zehnten Av brannte, hat der Talmud folgende Antwort: "Bei einem Unglück ist der Beginn am Schwerwiegendsten" (Babl. Talmud Ta'anith 29a).]
Am "Tisch'a b'Av" wird also der Zerstörung der beiden Tempel gedacht. Gemäss der mündlichen Überlieferung aber spielten sich am 9. Av noch weitere Tragödien in der Geschichte des jüdischen Volkes ab:

"Am neunten Av
  • wurde über unsere Väter verhängt, dass sie nicht ins Land ziehen (Numeri 14, 29);
  • wurden sowohl der erste als auch der zweite Tempel zerstört (der Erste im Jahre 586 v. durch die Babylonier unter Nebukadnezar und der Zweite im Jahre 70 n. durch die Römer unter Titus);
  • wurde die Stadt Betar erobert (135 n. durch die Römer unter Kaiser Hadrian nach heftigem Kampf gegen die jüdischen Freiheitskrieger unter Bar Kochba, womit den Juden der letzte Zufluchtsort genommen und der Aufstand gescheitert war)
  • und Jerusalem dem Erdboden gleichgemacht" (Mischna Ta’anit 4,6).
Der Fasttag am 9. Av selbst gleicht in seinen strengen Einschränkungen dem Jom Kippur, insofern als beide sich in fünf Punkten von den anderen Fasttagen unterscheiden:
  • das Verbot des Essens und Trinkens beginnt bereits am Vorabend mit Sonnenuntergang und nicht erst, wie es bei den anderen Fasttagen der Fall ist, zu Tagesanbruch des Fasttages selbst;
  • sowohl am 9. Av als auch am Jom Kippur zieht man keine ledernen Schuhe an;
  • man wascht sich nicht, mit Ausnahme der Finger und der Augenpartie;
  • das Salben oder Einölen ist untersagt;
  • ebenso der eheliche Verkehr.
All diese Bräuche sind Audruck des Versuchs, am 9. Av die Trauer und den Schmerz über den Verlust des Tempels "am eigenen Leibe" zu spüren. Dieses Streben geht sogar soweit, dass am "Tisch'a b'Av" zusätzlich etwas verboten ist, was am Jom Kippur erlaubt ist: Man darf nicht Tora lernen, denn "die Gebote des Ewigen sind recht, erfreuen das Herz" (Psalmen 19, 9) - mit Ausnahme der Bücher Hiob, Echa (Klagelieder) und der betrübenden Kapitel im Buche Jeremias, dazu auch talmudische und midraschische Quellen, die sich auf die Tempelzerstörung beziehen.
 
Um das Erlebnis eines solchen Fasttags zu veranschaulichen, wird an dieser Stelle ein Bericht über den "Tisch'a b'Av in den 30er Jahren" zitiert:
 
"Dieser 9. Aw war ein langer, vierundzwanzigstündiger Fasttag, wie Jom Kippur von Abend bis Abend, und schwerer, da er oft auf die heissen Sommermonate fiel ... An diesem Trauertag sass man in der trüb erleuchteten Synagoge auf dem Fussboden oder auf niedrigen Schemeln in dunklen Kleidern nur mit Strümpfen oder Turnschuhen und sagte-klagte in der traditionellen Trauerweise die biblische Elegie, die Ejcha-Rolle und andere Klagelieder. Die wenigen Frauen, die an diesem Abend nach oben in die Frauenschul kamen, waren kaum sichtbar in dem halbdunklen Raum, und so verstärkte sich der Eindruck der Verödung, des Verlassenseins und der Trauer, selbst 2000 Jahre nach dem tragischen Religions- und Geschichtsereignis" (M.Gillis-Carlebach, Jedes Kind ist mein Einziges.1992, S. 182-183).
Fäkultat für Jüdische Studien הפקולטה למדעי היהדות Bar Ilan Universität, Ramat Gan, Israel אוניברסיטת בר אילן